Achsenfehlstellung
Eine korrekte Stellung der Gliedmassen ist eine Grundvoraussetzung für die Leistungsfähigkeit und Langlebigkeit der Pferde. Gliedmassenfehlstellungen begünstigen zudem die Entstehung von bestimmten Erkrankungen, wie beispielsweise die Hufrollenerkrankung (Podotrochlose) sowie Spat und Fesselträgerkrankungen. Fehlstellungen der Gliedmassen zählen bei den Fohlen zu den häufigsten Problemen. Bis zu vier Prozent der Fohlen sind davon betroffen.
Wissenswertes zur Achsenfehlstellung
Welche Achsenfehlstellungen gibt es?
Man unterscheidet zwei verschiedene Achsenabweichungen. Diese Fehlstellungen können allein oder auch kombiniert mit anderen Fehlstellungen auftreten:
- Valgusfehlstellung («X-Bein»): Dies ist eine seitliche Abweichung nach aussen von der normalen Achse des Teils der Gliedmasse, welcher sich unterhalb des Fehlstellungsortes befindet.
- Varusfehlstellung («O-Bein»): Dies ist eine Abweichung nach innen von dem Teil der Gliedmasse, welcher sich unterhalb des Fehlstellungsortes befindet.
- Windschief: Dies ist eine Kombination einer Varusfehlstellung der einen und eine Valgusfehlstellung der gegenüberliegenden Gliedmasse.
Ursachen von Achsenfehlstellungen
Es sind verschiedene Typen von Fehlstellungen bekannt. Grundsätzlich wird unterteilt in:
- angeborene Fehlstellungen, welche vor der Geburt entstehen.
- entwicklungsbedingte Fehlstellungen, welche sich während der Wachstumsphase entwickeln, eingeteilt.
Angeborene Fehlstellungen
Angeboren Fehlstellungen werden unterteilt in Fehlstellungen wegen ungenügender Bildung von Knochengewebe und Fehlstellungen, welche auf Erschlaffung des Gewebes um die Gelenke beruhen. Bei beiden weisen die Fohlen eine Fehlstellung auf, welche manuell durch Druck temporär korrigiert werden kann; allerdings nur in den frühen Stadien.
Mit dem Fortschreiten der Bildung von Knochengewebe, können diese Fehlstellungen nicht mehr manuell korrigiert werden. Die röntgenologische Untersuchung ist die einzige sichere Methode, mit welcher eine exakte Differenzierung und Diagnose möglich ist.
Neugeborene Fohlen mit ungenügender Verknöcherung und Achsenfehlstellungen
Die ungenügende Bildung von Knochengewebe tritt häufig bei Frühgeburten auf. Damit sind auch nahezu alle Zwillingsgeburten betroffen, weil diese auch meist zu früh geboren werden. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit der frühzeitigen radiologischen Abklärung von diesen Neugeborenen, um den Grad der Knochenbildung beurteilen zu können.
Falls eine ungenügende Verknöcherung und gleichzeitig eine Achsenfehlstellung vorhanden ist, müssen diese Fohlen mit Schienenverbänden sowie Boxenruhe behandelt werden bis eine vollständige Verknöcherung vorhanden ist. Die Schienenverbände führen zu einer orthogonalen Belastung der weichen Knochen, was Deformierungen und Knochenquetschungen (permanente Schäden) vorbeugt.
Entwicklungsbedingte Fehlstellungen
Entwicklungsbedingte Fehlstellungen entstehen entweder durch eine unausgewogene Ernährung (vor allem Mineralien und Spurenelemente), durch zu starke Belastung, durch Trauma und durch ungleiches Wachstum der Wachstumsfugen. Auch kann eine schwere Gelenksentzündung zu einer Fehlstellung führen.
Diagnosestellung
Untersuchung
Die meisten Fehlstellungen sind bei der Betrachtung des Fohlens leicht erkennbar und trotzdem sollte immer das ganze Fohlen untersucht werden, um weitere Probleme zu erfassen.
Das Fohlen muss sowohl im Stehen als auch bei der Bewegung beurteilt werden (orthopädische Untersuchung). Im Stand kann der genaue Winkel der Achsenabweichung bestimmt werden. In der Bewegung werden dann die Auswirkungen dieser Fehlstellung deutlich ersichtlich.
Radiologische Untersuchung
Radiologische Abklärungen sind aus mehreren Gründen erforderlich und sollten bei allen Fehlstellungen durchgeführt werden. Dazu werden die betroffenen Gelenke oder Knochen mit sehr langen Röntgenplatten untersucht, damit die Fehlstellung gut erfasst werden kann. Bei ungenügender Knochenbildung sollte sowohl die Karpalregion als auch die Region des Sprunggelenkes evaluiert werden.
Wissenswertes zur Behandlung von Achsenfehlstellungen beim Fohlen
Was sind mögliche Behandlungen?
Je nach Alter und je nach Gelenk sind verschiedene Korrekturen erforderlich. Grundsätzlich können diese Korrekturen am Huf (konservativ) oder durch operative Eingriffe an den Knochen erfolgen, wobei eine Wachstumsbeschleunigung oder Wachstumsverzögerung möglich ist.
Korrekturen am Huf
Korrektive Techniken sind sehr hilfreich und können allein oder kombiniert mit chirurgischen Eingriffen durchgeführt werden. Bei diesen Techniken handelt es sich um ein Raspeln der Innen- und/oder Aussenwand oder das Anbringen von Plastikschuhen, wie die Dallmerschuhe.
Chirurgische Therapie – Wachstumsbeschleunigung
Die einseitige Durchtrennung der Knochenhaut (Periost) und die Lösung des Periosts vom darunterliegenden Knochen erlaubt durch einseitige Förderung des Wachstums eine Korrektur der Fehlstellung. Diese Technik wird auf der konkaven Seite des Knochens, also auf der kürzeren Seite durchgeführt.
Durch das Durchtrennen des Periosts wird der Druck auf die Wachstumsfuge reduziert, was ein rascheres Wachstum erlaubt. Weiter werden viele Wachstumsfaktoren aktiviert, die ein rasches Wachstum des Knochens unterstützen.
Die Operation Wachstumsbeschleunigung (Periost stripping)
Ein Venenkatheter wird gesetzt und das Fohlen wird in Allgemeinnarkose gelegt. Ein ca. 4 cm langer, vertikaler Schnitt wird im Operationsgebiet auf der kürzeren Seite des Knochens unmittelbar oberhalb bzw. unterhalb der Wachstumsfuge mittels aseptischer Technik durchgeführt. Der Schnitt wird bis zur Knochenhaut weitergeführt. Die Knochenhaut selbst wird „T“-förmig eingeschnitten. Die beiden dreieckigen Periostlappen werden nun vom darunter liegenden Knochen abgehoben und wieder sorgfältig auf den Knochen gelegt. Unterhaut und Haut werden mit einer Naht vernäht. Ein leichter Verband schützt die Wunde und erlaubt dem Fohlen unmittelbar nach der Operation wieder nach Hause zu gehen.
Wachstumsbeschleunigung – Nachbehandlung
Die Fohlen können als ambulante Patienten behandelt werden und dürfen sofort wieder oder am nächsten Tag nach Hause, was für diese jungen Fohlen besser ist als in einem Spital bleiben zu müssen.
Es wird ein verband angelegt in. der Operation, dieser sollte nach 4 Tagen gewechselt und weitere 4-6 Tage beibehalten werden. Sollte das Resultat nach 2 Monaten unbefriedigend sein oder die Fehlstellung sich nicht komplett korrigiert haben, kann die Operation wiederholt werden oder zusätzliche eine Wachstumsverzögerung gemacht werden.
Wachstumsbeschleunigung – Vor- und Nachteile
Die Vorteile dieser Technik sind folgende: Eine Überkorrektur, d.h. eine Fehlstellung auf die andere Seite, kann bei dieser Technik nicht eintreten. Das Risiko einer postoperativen Infektion ist sehr gering, da kein Metall implantiert wird.
Die Nachteile dieser Technik sind folgende: bei deutlichen Fehlstellungen oder bei schon etwas älteren Fohlen ist die Wirkung dieser Operation nicht immer genug stark und diese Operation muss mit einer Wachstumsverzögerung kombiniert werden.
Wachstumsverzögerung
Bei der selektiven Wachstumsverzögerung wird vorübergehend auf der längeren Knochenseite eine Überbrückung der Wachstumsfuge mittels Implantaten herbeigeführt. Dadurch entsteht Druck auf die Wachstumsfuge, so dass diese nicht mehr wachsen kann. Dadurch kann die kürzere Seite weiter wachsen und so mit der Zeit die Fehlstellung korrigieren. Allerdings ist es von grösster Wichtigkeit, die Implantate zu entfernen, sobald die Stellung gerade ist, da sonst eine Überkorrektur, d.h. eine Fehlstellung auf die andere Seite entstehen wird.
Die Wachstumsverzögerung wird entweder mit Schrauben und Cerclagedrähte, kleinen Schrauben und Platten oder einer einzelnen Schraube durchgeführt. Da durch die Implantate eine Druck auf die Wachstumsfuge auf der längeren Seite ausgeübt wird, wächst diese nur sehr wenig und erlaubt der anderen Seite ein relativ beschleunigtes Wachstum.
Wachstumsverzögerung – Nachbehandlung
Nach einer Wachstumsverzögerung müssen die Fohlen für 2 Wochen in einer Box mit kleinem Auslauf unter Verband gehalten werden, anschliessend während 2 Wochen auf einem kleinen Paddock bevor wieder Weidegang erlaubt ist bis zur Implantatentfernung.
Die Korrektur muss sehr genau verfolgt werden, damit keine Überkorrektur erfolgt. Wenn das Bein gerade ist, müssen die Implantate Wieder entfernt werden.
Kombination der Wachstumsverzögerung und Wachstumsbeschleunigung
Bei Fohlen mit sehr starken Fehlstellungen oder bei älteren Fohlen kann die Wachstumsbeschleunigung und die Wachstumsverzögerung kombiniert werden und beide Operationen an der gleichen Gliedmasse durchgeführt werden.
Prognose
Die Prognose beim Fohlen ist in der Regel gut. Aber: schnelles handeln ist wichtig.
Korrekturen können nur gemacht werden, solange der jeweilige Knochen noch wächst respektive die Wachstumsfuge offen ist, das heisst:
- Korrekturen am Fessel: um 2 Monate
- Korrekturen am Tarsus: um 4 Monate
- Korrekturen am Carpus: um 6 Monate
Falls Sie den Verdacht einer Fehlstellung bei Ihrem Fohlen haben, melden Sie sich bei Ihrem Privattierarzt oder senden Sie uns ein Foto oder Video.
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